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Rückblick auf den Engelrausch

Mit "Großartig!" betitelt Reiner Henn seine Rezension in der RHEINPFALZ:

Das Trio Engelrausch mit seinem jazzigen Weihnachtskonzert in der Stiftskirche

Das erste gestreamte Live-Konzert in der Stiftskirche profitierte von einer raffinierten Bühnentechnik, die den Zuschauer mitten hinein in die festlich illuminierte Apsis des Chorraums führte. Schon der Film-Einspieler als Vorspann brachte die Frohe Botschaft „Weihnachten findet statt – aber anders als gewohnt“ und stimmte wirkungsvoll ein.

Seit 2006 gastiert das hochrangige Jazztrio unter dem Pseudonym Engelrausch im Winter in der Stiftskirche. Übers Jahr nennt man sich Tango Transit mit einem kosmopolitischen Programm durch Stile und Kontinente. Heuer am Freitag fehlte zwar die verführerische, von außen einströmende Melange aus Plätzchenduft und Glühweinaroma, dafür zauberten aber die Techniker mit raffinierter Kameraführung ein besonderes Ambiente: Der Hintergrund des Chorraums täuschte durch ein dezentes Nachtblau Tiefe vor, während die Seitenwände in Mittel-und Vordergrund im warmen Rot eine besondere Atmosphäre verbreiteten. Es war jenes Abendrot, das der Volksmund zum Schwärmen bringt: „Jetzt backt das Christkind Plätzchen.“

In diese feierliche Stille brachen die drei Musiker mit Brachialgewalt hinein, zauberten selten lyrische Stimmungen, entfachten vielmehr mit den Bausteinen von altbekannten Weihnachtsliedern ein vorgezogenes Feuerwerk zündender Rhythmen sowie stürmisch aufbrausender melodischer Wogen. Klangbeispiele waren Kinderlieder weihnachtlicher Provenienz wie „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ oder „Morgen Kinder, wird’s was geben“ sowie „Ihr Kinderlein kommet“. Weihnachtslieder, die Begabte in wenigen Monaten lernen können – aber Jazzer für diese allerhöchste Kunstform in Variation, Modulation sowie Umdeutung bei wechselnder Rhythmisierung und Stilisierung Jahrzehnte brauchen.

Kaum hat man einen Viertakter wiedererkannt und schwelgt in nostalgischen Erinnerungen, wird man durch kühne Überleitungen des Akkordeonisten Martin Wagner aus den Träumen gerissen: Abrupt, manchmal schroff, wechselt dieser den Tonfall; er animiert Kontrabassist Hanns Höhn zu virtuosen Kapriolen im höchsten Daumenaufsatz, und nur Schlagzeuger Andreas Neubauer hält mit eisernem Rhythmus am Grundtempo fest und alles zusammen, ohne allerdings statisch zu wirken.

Engelrausch ist bezaubernder Winterjazz vom Feinsten – auch ohne Rauschebart, aber mit goldenen Händen bei der Ausarbeitung von weihnachtlichen Themen, die aufgelöst, umgekehrt und frei bearbeitet werden, sodass eigentlich oftmals etwas Neues und Ungewohntes daraus entsteht. Wenn man so will: Die drei aus dem Großraum Frankfurt kommenden Musiker stutzen Weihnachtsmännern die Bärte zurecht und kleiden sie in ein modernes Klanggewand. Mutig, innovativ und kreativ. Dabei basiert alles schon auf einer ungewöhnlichen Besetzung, wenn das im klassischen Jazztrio gewohnte Piano durch das Akkordeon ersetzt wird. Eine weitere Besonderheit ist Kontrabass, mal ostinat wie im barocken Basso continuo, dann swingend und groovend wie in der Bigband oder gestrichen wie eine Cellokantilene, etwa bei „Maria durch ein Dornwald ging“. Für jeden Titel wurde einanderes Idiom gewählt und umgesetzt. Großartig!

Reiner Henn

In: Die Rheinpfalz Pfälzische Volkszeitung - Nr. 298, Dienstag, den 22. Dezember 2020, Seite 16

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